Viel Zeit zum Feiern blieb der Brandenburgerin nicht, denn nur einen Tag nach ihrem Triumph musste sie bereits morgens um sechs Uhr in Glasgow in den Flieger steigen, um nach Schweden zu reisen, wo sie die nächsten Weltcuprennen für ihr Team Canyon Sram bestreiten wird. Auf Trixi Worrack ist eben immer Verlass. Und das seit mehr als zwei Jahrzehnten. So lange ist sie schon für den Bund Deutscher Radfahrer erfolgreich mit der Nationalmannschaft unterwegs, bestreitet im September voraussichtlich ihre 21. (!) Weltmeisterschaft.
Worrack ist eine zarte Person, gerade einmal 1,60 groß und 50 Kilogramm schwer. Doch auf dem Rad entwickelt sie große Kräfte. Nichts tut sie lieber, als im Rennsattel sitzen. Umso härter traf es sie vor zwei Jahren, als sie bei einem Rennen in Italien schwer stürzte und man ihr in einer Not-OP eine Niere entfernen musste. Doch an ein Karriereende dachte die heute 36-Jährige nicht, sondern kämpfte sich in nur drei Monaten wieder zurück. In Streufdorf, unweit ihrer Wahlheimat Erfurt, wurde sie Deutsche Zeitfahrmeisterin, wiederholte diesen Triumph ein Jahr später in Chemnitz und belegte vor wenigen Wochen bei der Zeitfahr-DM Rang zwei hinter Lisa Brennauer. Beide wurden daraufhin für die EM in Glasgow nominiert. Beide zeigten herausragende Leistungen, auch wenn Brennauer im Zeitfahren Pech hatte. Drei Kilometer vor dem Ziel stürzte sie auf regennasser Fahrbahn und büßte alle Chancen ein, auch wenn sie später bekannte: „Ich habe von Anfang an gemerkt, dass es nicht mein Tag war. Als der Sturz passierte, war das Rennen für mich eigentlich schon gelaufen, sagte die Bronzemedaillen-Gewinnerin des Straßenrennens, die auf der Bahn den Titel in der Einerverfolgung abräumte und mit dem Frauen-Vierer Dritte wurde. Im Zeitfahren auf der Straße reichte es deshalb nur zu Platz 17.
Doch Brennauer freute sich riesig über den Erfolg ihrer früheren Teamkollegin Trixi Worrack. Die hatte noch gar nicht realisiert, dass sie aufs Podium fuhr, als Brennauer sie in die Arme nahm und gratulierte. Doch dann konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Zwölf Jahre nach ihrer letzten Einzelmedaille bei einem internationalen Wettbewerb, nach Silber im Straßenrennen von Salzburg 2006, gewann sie im Herbst ihrer Karriere Bronze. In den vorangegangenen Weltmeisterschaften holte sie viele Top-Platzierungen, war selten schlechter als Platz zehn, aber zur Medaille reichte es nicht. Darum spekulierte sie auch diesmal nur mit einem Platz zwischen fünf und acht. „Ich hatte mich sehr gut auf die EM vorbereitet, aber mit einer Medaille niemals gerechnet“, sagte sie nach der Siegerehrung.
1:09 Minuten war sie langsamer als die alte und neue Europameisterin Ellen van Dijk, die den Titel vor ihrer niederländischen Kollegin Anna van der Breggen gewann. „Es war schon eine Herausforderung mit den nassen Straßen und rutschigen Kurven. Aber es war ein toller Kurs, der gut gerollt ist. Ich habe mich gut gefühlt, aber ich habe nicht gewusst, was die Konkurrenz macht,“ sagte sie.
„Dieser Erfolg ist für mich mehr wert, als für manch andere. Schließlich ist es schon ein paar Jahre her, dass ich mal eine Einzelmedaille geholt habe,“ so Worrack. „Eigentlich war es ein Blindflug. Denn wir konnten auf den Straßen nie in Wettkampfgeschwindigkeit trainieren. Und es macht schon einen Unterschied, ob man mit 30 oder mit 45 km/h um die Kurve fährt“, schilderte sie die schwierigen Bedingungen auf regennasser Straße.
Lotteriespiel für Schachmann
Für Maximilian Schachmann (Quick Step-Floors) glich der Start im Männer-Zeitfahren über 45 Kilometer einer Lotterie. Am Sonntag erst hatte der Berliner sein Höhentraining in Livigno beendet, wusste nicht, wie seine Form ist. „Die Strecke ist ganz schön anspruchsvoll und meine Form kann ich schwer einschätzen,“ meinte der 24-Jährige am Vorabend des EM-Zeitfahrens.
Dass er zu den Besten gehört, hat Schachmann aber mehrfach bewiesen, und mit seinem Giro-Etappensieg auch von seinen Kletterfähigkeiten überzeugt. Und in Glasgow trafen die EM-Teilnehmer nicht auf einen Rollerkurs, sondern auf eine Strecke mit vielen Kurven, mit rauem Asphalt, vielen Schlaglöchern, Steigungen und Unebenheiten. „Ich bin ohne große Erwartungen in das Rennen gegangen, habe unterwegs an manchen Stellen auch viel Zeit liegen lassen, weil ich durch den Regen kaum etwas sehen konnte. Außerdem kannte ich den Kurs so gut wie gar nicht, weil wir ihn nur im fließenden Verkehr ansehen konnten,“ erzählte der Berliner nach dem Rennen. „Dafür, dass ich gerade erst aus dem Höhntraining zurückgekehrt bin lief es solide“, lächelte Schachmann und freute sich, hinter Titelverteidiger Victor Campenaerts und dem Spanier Jonathan Castroviejo mit 27 Sekunden Rückstand auf den Sieger die Bronzemedaille gewonnen zu haben.
„Der Fokus lag ja nicht auf dieser EM, sondern ist auf später in der Saison gerichtet,“ verriet Schachmann, dass sein nächstes großes Ziel die WM in Innsbruck sein wird.
Der zweite deutsche Starter, Marco Mathis (Katusha-Alpecin) belegte mit 2:06 Minuten Rückstand Rang 14. Der U23-Zeifahr-Weltmeister von Katar bekannte nach dem Rennen, dass er schwer ins Rennen gekommen sei. „Ich habe meinen Rhythmus nicht gefunden und kam mit dem Gegenwind und den Steigungen nicht zurecht.“
Bei den Europameisterschaften in Glasgow steht noch eine Entscheidung im Straßenrennen aus: Am Sonntag findet das Straßenrennen der Männer statt. Für den Bund Deutscher Radfahrer geht John Degenkolb als Kapitän ins Rennen. Er wird, wie die meisten seiner Teamkollegen, erst am Freitag Abend in Glasgow ankommen. Im Kampf um den EM-Titel trifft Degenkolb auch auf Weltmeister Peer Sagan.