„Jetzt, so kurz nach dem Lauf, ärgere ich mich ein bisschen, dass ich nicht gewonnen habe, aber später, wenn ich auf dem Podium stehe, werde ich mich ganz bestimmt freuen,“ sagte Bötticher, nachdem er im Sprintfinale dem Niederländer Jeffrey Hoogland in zwei Läufen unterlag. „Ich habe mich nach dem Halbfinale nicht wirklich gut erholen können, die zwei Stunden Pause haben mir nicht gut getan,“ so der Chemnitzer.
Doch bereits bei der Siegerehrung war die Niederlage vergessen und die Freude über Silber größer. Am Abend haben ihn viele Nachrichten von Freunden und der Familie neue Kraft für den letzten Wettkampftag gegeben. Und so sauste er im Keirin-Finale zum Titel, ließ der Konkurrenz nicht den Hauch einer Chance. „Das heute zu gewinnen, das war wie im Film. Das hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich jetzt mit einem kompletten Medaillensatz nach Hause fahre. Ich kann das gar nicht fassen,“ freute er sich im Ziel.
Weil der Zielstrich etwas weiter hinten lag, als normal üblich, konnte Bötticher einen langen Sprint ausgangs der letzten Kurve fahren. „Ich habe den Tigersprung gemacht“, lachte er. Gestern hat es nicht zum Titel gereicht, heute habe ich noch mal alles aus mir herausgeholt, noch mal richtig gekämpft.“ Bei der Siegerehrung kämpfte Bötticher mit den Tränen. Die lange Leidenszeit hatte endlich ein Ende: Bötticher ist wieder da, gehört zur Weltspitze der Bahnsprinter!
Seinen Durchbruch schaffte der heute 26-Jährige 2013 bei den Weltmeisterschaften in Minsk, als er sowohl im Sprint als auch im Teamsprint zusammen mit René Enders und Maximilian Levy den Titel gewann. Ein Jahr später wurde er im Sprint Vize-Weltmeister. Bötticher war da angekommen, wo er immer als Kind hinwollte. „Die Bahn hat mich immer fasziniert, “ erzählt er von seinen frühen Jahren. „Ich habe immer davon geträumt, einmal mit Levy oder Stefan Nimke zu fahren. Und plötzlich war ich mittendrin.“
Eine Verletzung zwangen ihn im Winter 2014 zu einer längeren Pause. Seit dem hatte Bötticher immer wieder gesundheitliche Probleme, vor allem im muskulären Bereich. „Ich hatte jeden Tag Schmerzen. Klar gibt es im Training immer wieder Momente, die weh tun, aber bei mir war es extrem. Ich habe die Lust am Radfahren verloren.“
Statt sich weiter zu quälen nahm Bötticher eine lange Auszeit, stellte das Rad in die Ecke und organisierte sein Leben um. Viele medizinische Behandlungen und eine lange Rehabilitation waren nötig, um seinen Körper wieder fit zu bekommen.
Bei der Weltmeisterschaft im Frühjahr diesen Jahres gehörte Bötticher nach langer Pause wieder zur WM-Mannschaft, startete im Teamsprint. Danach ging es weiter aufwärts. Sein Sieg beim Bahn-Weltcup in Polen bescherte ihm endgültig das EM-Ticket.
„Alles ist wieder so wie vorher. Vielleicht noch besser. Es ist super, wieder auf der internationalen Bühne zu stehen“, sagte er in Glasgow.
Am ersten Wettkampftag gehörte Bötticher neben Timo Bichler und Joachim Eilers zum Trio der Teamsprinter, die zu Bronze fuhren. Im Sprint -Turnier zog er mühelos von Runde zu Runde. Dramatisch wurde es im Halbfinale, als er auf den britischen Vize-Weltmeister Jack Carlin traf. Drei Läufe waren nötig, um den Briten auszuschalten und ins große Finale einzuziehen.
Den ersten Lauf gewann Carlin, wurde aber wegen einer Behinderung Böttichers distanziert. Im zweiten Lauf war es umgekehrt, da berührte Bötticher den Briten an der Schulter. Im dritten und entscheidenden Lauf rutschte Bötticher das Hinterrad weg und er stürzte. Doch der Deutsche behielt die Ruhe, trat erneut an und gewann. „Ich habe in diesem Turnier gemerkt, dass sich der Sprint verändert hat. Ich muss noch einiges lernen, um wieder voll dazu zu gehören“, sagte er nach dem Halbfinale. „Aber eigentlich lief es ja schon super. Ich habe mehr erreicht, als ich mir vorgenommen habe.“
Und am letzten Tag setzte er mit Golf im Keirin dem Ganzen die Krone auf.
„Der Fall Stefan Bötticher zeigt, dass es sich lohnt, Vertrauen in die Fähigkeit eines Sportlers zu haben,“ zeigte sich auch BDR-Sportdirektor Patrick Moster sehr zufrieden mit dem Comeback des Chemnitzers.
„Stefan ist noch nicht ganz da, wo er einmal war, aber er hat bereits ein stabiles Ausgangsniveau und ist auf einem sehr guten Weg. Sein Sieg im Keirin war sensationell,“ beurteilte Bundestrainer Detlef Uibel die Leistungen des EM-Medaillengewinners.