Was es nicht alles gibt. Fünf Sekunden vor Abpfiff gelang Raphael Kopp das letzte Tor – nach siebenstündiger Anreise zum Bundesliga-Spieltag in Friedrichshafen – zum 7:3 gegen Kemnat. Und zwar per Kopf. „Das ist auch nicht alltäglich“, so der Radballer aus Obernfeld bei Göttingen. Der lange Tag hatte sich gelohnt. Rafa und Partner André festigten Position 2 in der Tabelle – bei den abschließenden beiden Runden im Mai und Juni bleibt der Sprung an die Spitze möglich – der Kampf um das WM-Ticket spitzt sich zu. „Und wird wahrscheinlich erst bei der ‚Deutschen‘ entschieden“, so das Duo unisono.
Zurück in die Halle am Bodensee. Fans waren willkommen und selbst die Kleinsten, am Trikot mit der Aufschrift „Spielerkind“ erkenntlich, sausten auf Mini-Bikes unermüdlich um die Fläche – die Community findet nach zahlreichen Einschränkungen während der Pandemie zur Normalität zurück. Masken sind jetzt Seltenheit, die Heiterkeit kehrt zurück. Nach der letzten, komprimiert ausgetragenen Saison, ermöglicht nun der übersichtliche Terminkalender das Comeback mit Plan. Das große Ziel lautet Weltmeisterschaft Anfang November in Gent. Vorher werden der Bundesliga-Endspurt, das Deutschlandpokal-Finale und nach dem Sommer-Break die Final-Five-Turniere Aufschluss über Team D bei der WM in Flandern geben.
Diese Vision elektrisiert alle. Mittendrin Sven Holland-Moritz und Marius Hermans, die im Süden überraschend Favorit Obernfeld (4:3) bezwangen, aber zum Schluss den Gastgebern aus Ailingen unterlagen. „Die Konstanz“ sei noch das Problem sagen die Jungs vom RSC Blitz Schiefbahn, daran gelte es zu arbeiten. Nicht so einfach, denn hin und wieder ist die Übungshalle dicht, muss Solo-Training die Teamarbeit ersetzen. „Aber wir wollen nach oben – uns einmal für eine WM qualifizieren.“ Warum nicht schon 2022? Die Deutschen Vizemeister von 2021 geben ein Top-3-Ranking als Losung für die aktuelle Bundesliga aus. Im Moment belegen sie Rang 4.
Direkt hinter dem Zauber-Duett aus Ginsheim. Roman Müller und Jens Krichbaum, die wahrscheinlich einen einsamen Rekord an Verletzungen und Blessuren besitzen, sind laut Raphael Kopp das „Team der Stunde“. Beim letzten Durchgang in Stein ergatterten sie (mit 31:8 Toren) die Maximalausbeute von zwölf Punkten. „Ein toller Auftritt“ befand Coach Christian Heß. Auch die Konkurrenz staunt über Roman und Jens, die es zusammen auf 82 Lebensjahre bringen.
Selbst Weltmeister Bernd Mlady musste die Vehemenz der RSG-Cracks anerkennen, trotz des Ausfalls von Partner Gerhard (Wadenbeinbruch) aber grüßt die RMC Stein noch von der Tabellenspitze. In der Bundesliga bildet Bernd mit seinem Partner aus der Oberliga ein Gespann, für das Pokal-Finale ist Gerhards Bruder Robert (aus der zweiten Mannschaft) vorgesehen. Flexibilität wird großgeschrieben, aber das musste auch Dauer-Rivale Obernfeld an Spieltag II erfahren, als nur zwei Punkte gelangen. „Insofern ist unsere Bilanz bislang ordentlich“, so die Kopps vom Radfahrverein Stahlross. Man habe in diesem Jahr mehr „Leichtigkeit“. Der Kampf um den langersehnten WM-Platz tritt etwas in den Hintergrund. „Vielleicht setzt der Nachwuchs andere Prioritäten.“ Rafas Kinder sind zweieinhalb Jahre und sieben Wochen, Andrés Kleiner ist zwei Jahre.
Und so verkürzte die Vorfreude auf die Familie sogar die zähe Rückfahrt vom Bodensee gen Norden. Der Radball-Alltag 2022: Auf die Zähne beißen – wie immer. Das gilt für die Papas aus Obernfeld ebenso wie für die Routiniers von der RSG Ginsheim oder die gehandicapten fränkischen Weltmeister aus Stein.