Immer wieder gab es bei Olympia Überraschungssiege, weil Olympische Straßenrennen anders verlaufen, als eine Weltmeisterschaft. Das liegt am kleineren Fahrerfeld, an der Vielzahl der Nationen, die sonst eher nicht antreten. Wenn eine Mannschaft mit sechs bis acht Fahrern an den Start geht, sind ganz andere taktische Möglichkeiten gegeben, als in Paris, wo die Maximalzahl bei den Männern auf vier Fahrer pro Nation begrenzt ist.
„Ich bin sehr gespannt, wie das ablaufen wird. Auch, weil wir nur mit zwei Fahrern starten dürfen und andere Nationen wie Belgien oder Dänemark viel besser aufgestellt sind,“ sagt Nils Politt, einer von zwei deutschen Fahrern im Olympischen Straßenrennen. Politt ist hoch motiviert für Paris. „Es ist das größte Sportevent, an dem man teilnehmen kann, und es ist mir eine Ehre, dass ich in Paris starten werde,“ sagt der Kölner.
Der zweite deutsche Fahrer ist Maximilian Schachmann, wie Politt ein Athlet, der klassische Eintagesrennen mag. Der Kurs von Paris ist keine Sprinterstrecke, keine mit hohen Bergen, dafür mit kräftezehrenden kurzen Steigungen, Kopfsteinpflaster-Passagen.
Zum ersten Mal in der Geschichte der Spiele wird es eine gleiche Anzahl an männlichen und weiblichen Teilnehmern bei den Straßenrennen geben. 90 Männer und 90 Frauen werden nach dem Start am Trocadero das Département Hauts-de-Seine über den Hügel Côte des Gardes (1,9 km bei 6% Steigung) in Meudon durchqueren. Es folgen weitere Herausforderungen mit anspruchsvollen Anstiegen, bevor das Peloton Paris wieder erreicht und die letzten 50 Kilometer beginnen. Dann haben die Männer bereits 223 Kilometer (von insgesamt 273) und die Frauen 108 (von insgesamt 158) in den Beinen. Eine Schlüsselstelle ist der 6,5 Prozent steile Butte Montmartre am Fuße der berühmten Basilika Sacré Coeur. Dreimal muss dieser Berg erklommen werden, bevor am Trocadéro um den Olympiasieg gesprintet wird.
Zu den Favoriten gehören der niederländische Weltmeister Mathieu van der Poel, der Franzose Julian Alaphilippe, der seinen Heimvorteil nutzen will, der Däne Mads Pedersen, wenn er rechtzeitig von seinen Sturzverletzungen von der Tour genesen ist, und der Belgier Wout van Aert, in Tokio bereits Silbermedaillengewinner.
Maximilian Schachmann fürchtet ein wenig die Besonderheiten, die ein Olympisches Straßenrennen mit sich bringt. „Wenn früh eine Gruppe geht mit Fahrern der führenden Nationen, wer soll dann hinterherfahren bei diesem kleinen Fahrerfeld?“, fragt er. Außerdem sei der Kurs ziemlich schwer und ein 273 Kilometer langes Rennen fordere seinen Tribut.
Der Berliner bestreitet außerdem das 32 Kilometer lange Einzelzeitfahren und ist da der einzige männliche Starter des BDR. In den letzten Wochen hat sich der DM-Zweite intensiv auf Paris vorbereitet, war zuletzt noch einmal im Höhentraining in Andorra. Mit seinem Trainer John Wakefield hat er intensiv an seinen Zeitfahr-Qualitäten gearbeitet „Bei John habe ich das Zeitfahren noch mal richtig gelernt, mich weiter verbessert.“ Vor allem an der Feinabstimmung habe man gearbeitet. Und das Material stimmt auch in Paris. Schachmann reist also optimistisch in die französische Hauptstadt, will aber keine hohen Erwartungen wecken. „Ich sage mal, Top-Acht wäre ok.“
Für Schachmann sind es die zweiten Spiele. In Tokio war er Zehnter im Straßenrennen und belegte im Einzelzeitfahren Rang 15. Aber in Tokio lief es alles andere als optimal. „Im Zeitfahren hatte ich echt einen üblen Tag,“ erinnert er sich und will es in Paris besser machen.
Der 32,4 km lange Zeitfahrkurs ist total flach, etwas für tempoharte Athleten. Technische Passagen gibt es kaum. Der Start erfolgt vor dem Invalidendom im Esplanade des Invalides, der als einer der schönsten Gärten von Paris gilt. Das Ziel liegt direkt auf der Pont Alexandre III, Mitten in Paris.
Die Aussichten der beiden deutschen Starter im Straßenrennen sieht BDR-Teamchef André Greipel so: „Max weiß, dass es auch eine Chance für ihn ist. Er wird sich sehr gut vorbereiten. Im Straßenrennen sind wir davon abhängig, was andere Nationen machen. Wie sie sich taktisch aufgestellt haben, werden wir erst im Verlauf des Rennens wissen und müssen uns dann anpassen. Wir müssen defensiv und aufmerksam fahren. Unser Ziel ist es, mit beiden Fahrern ins Finale zu kommen.“
Die Frauen fahren das Zeitfahren auf der selben Strecke wie die Männer. Ellen van Dijk aus den Niederlanden oder Weltmeisterin Chloe Dygert aus den USA gehören zum engeren Favoritenkreis. Chancen auf eine Top-Platzierung haben auch die beiden deutschen Starterinnen Mieke Kröger und Antonia Niedermaier. Kröger, die über die Bahn für die Spiele nominiert ist, gilt als überaus erfahrene Zeitfahrerin, ist amtierende Deutsche Meisterin und mehrfache Medaillengewinnerin in der Mixed-Staffel. „Das ist ein perfekter Kurs für Mieke, total flach,“ sagt Bundestrainer André Korff und traut Kröger in Paris einiges zu.
Antonia Niedermaier mag zwar eigentlich bergige Strecken lieber, aber die 21-Jährige ist so talentiert, dass sie auf jedem Terrain eine starke Leistung zeigen kann. Bei den nationalen Meisterschaften war sie Zweite hinter Kröger und belegte im Zeitfahren der Tour de Suisse Rang fünf.
Niedermaier wird als eine von drei deutschen Fahrerinnen auch das Straßenrennen bestreiten. Die Deutsche Meisterin Franziska Koch sowie Liane Lippert, die unlängst mit einem Etappensieg im Giro überzeugte, ergänzen das BDR-Trio, das in Paris Chancen auf eine Top-Platzierung hat. „Ich sehe uns nicht unbedingt im Kreis der Favoriten, aber Top-Acht ist das erklärte Ziel,“ sagt Bundestrainer Korff, der auch um die besonderen Bedingungen olympischer Straßenrennen weiß.
„Diese Rennen laufen anders als jedes andere. Es kann sein, dass früh eine Gruppe geht und es bis ins Ziel schafft. Man muss sehr aufmerksam fahren,“ teilt Korff die Meinung Greipels. Alle Ausreißergruppen bei nur drei Starterinnen zu besetzen sei nahezu unmöglich. Man müsse auch im Rennen flexibel sein und schauen, wie es sich entwickelt. „Am Ende aber,“ da ist sich Korff sicher, „müssen wir uns auf eine Fahrerin fürs Finale konzentrieren.“
Top-Favoritinnen im Kampf um Gold, Silber und Bronze sind einmal mehr die Niederländerinnen. Aber auch die amtierende Weltmeisterin Lotte Kopecky wird versuchen, im 158 Kilometer langen Rennen nach Gold zu greifen. Und wer weiß, vielleicht steht am Ende eine Fahrerin auf den Podium, die niemand auf der Rechnung hatte. Wer kannte vor dem Olympischen Straßenrennen von Tokio eigentlich Anna Kiesenhofer?
Deutsche Starter:
Franziska Koch (Mettmann/DSM-Firmenich PostNL)
Liane Lippert (Friedrichshafen/Movistar Team)
Antonia Niedermaier (Bruckmühl/Canyon//SRAM Racing)
Mieke Kröger (Hürth/RV Teutoburg Brackwede) *
Nils Politt (Hürth/UAE Team Emirates)
Maximilian Schachmann (Berlin/Andorra/Red Bull-Bora-hansgrohe)
* Mieke Kröger ist über die Bahn nominiert, wird aber auch das Einzelzeitfahren auf der Straße bestreiten.
Die Entscheidungen:
- 27. Juli: 14:00 – 16.00 Uhr Zeitfahren Frauen
- 16:15 – 18.15 Uhr Zeitfahren Männer
Die Strecke: Der Start erfolgt vor dem Invalidendom im Esplanade des Invalides. Das Ziel liegt nach 32,4 Kilometern direkt auf der Pont Alexandre III, Mitten in Paris.
- 3. August 11.00 – 18.15 Uhr Straßenrennen Männer
- 4. August 14.00 – 18.45 Uhr Straßenrennen Frauen
Die Strecke: Der Start der Straßenrennen erfolgt an den Jardins du Trocadéro. Danach fährt das Peloton erst einmal raus aus Paris, ehe die letzten Kilometer wieder durch die Innenstadt führen. Das Finale ist technisch anspruchsvoll, mit einem Kopfsteinpflasteranstieg (1 km bei 6,5%) zum Butte Montmartre am Fuße der berühmten Basilika Sacré Coeur. Dreimal muss dieser Berg erklommen werden. Die letzten Kilometer führen bis zur Brücke Pont d‘Iéna, wo am Trocadéro um die Medaillen gesprintet wird. Der typische Klassikerkurs ist nicht nur wegen der Kopfsteinpflaster gefürchtet, sondern vor allem auch wegen seiner Länge. 273 km bei den Männern, 158 km bei den Frauen bei wahrscheinlich großer Hitze. Das werden nur die Besten überstehen.