Die Olympischen Spiele waren in diesem Jahr das große Ziel der BMX-Freestylerin. Die Weltmeisterschaft in Montpellier in Frankreich sollte Anfang Juni ein letztes großes Kräftemessen mit der Konkurrenz sein, bevor es nach Tokio ging. Dann der Schock: Lessmann brach sich das Schlüsselbein, konnte im Finale nicht antreten. Nur einen Tag später wurde sie in der Charité in Berlin operiert und konnte schon bald wieder mit dem Training beginnen, schaffte es in kürzester Zeit, wieder fit zu werden. Und sie büßte auch nichts von ihrer Motivation ein. Nach dem Motto: Jetzt erst recht, hat sie die letzten Wochen intensiv zur Vorbereitung genutzt und flog voller Zuversicht nach Tokio. Platz sechs in den Vorläufen waren das, was sie erwartet hatte. „Die Vorläufe gaben ihr Selbstvertrauen. Es lief gut“, sagte Bundestrainer Tobias Wicke am Samstag. Und Lara ergänzte: „Es hat Spaß gemacht.“
Im Finale am Sonntag drehte sie noch einmal auf, zeigte ihre Tricks ohne Fehler und wurde auch dort Sechste. „Unter den Umständen, die bei mir herrschten, war es ein Top-Niveau, was ich in Tokio gezeigt habe,“ sagte sie, sichtlich zufrieden nach ihrer Olympia-Premiere. „Ich konnte in Tokio nichts verlieren sondern nur gewinnen. Aber als Sportler will man natürlich immer sein bestes zeigen. Nach dem ersten Lauf habe ich noch mit einer Medaille geliebäugelt. Das hat leider nicht geklappt. Es waren heute windige Bedingungen, einige haben deswegen ihre Läufe abgebrochen, oder hatten Schwierigkeiten bei manchen Tricks aufgrund der Windverhältnisse. Ich bin ziemlich stolz auf mich. Vielleicht hätte ich beim zweiten Lauf noch ein bisschen mehr drauflegen sollen. Bei meinen ersten Spielen Sechste zu werden ist aber nicht schlecht. Diese Spiele kann mit keiner mehr nehmen. Ich bin sehr stolz, dass ich dabei sein durfte.“
Auch Bundestrainer Tobias Wicke freute sich über Lessmanns sechsten Platz. „Das war das, was ich mir erhofft hatte, was ich mir so gewünscht hatte, nach dem Pech in der Vorbereitung. Das komplette Team Deutschland hat uns super unterstützt und uns viel Energie gegeben. Ich bin sprachlos und einfach nur froh,“ sagte Wicke.
In Tokio hat Lara Lessmann die große Bühne betreten. Ihre Sportart ist zum ersten Mal olympisch, zum ersten Mal hat die Welt an den Fernsehschirmen miterlebt, wie faszinierend Freestyle ist. Schade fand sie nur, dass sie das typische Olympische Flair bei ihren ersten Spielen wegen der Corona-Beschränkungen nicht erleben durfte. Das ungezwungene Zusammensein mit Sportlern aus der ganzen Welt, das, was sie bei den Jugendspielen in Buenos Aires vor drei Jahren so sehr genoss. Sie fand es trotzdem cool, in die japanische Hauptstadt zu reisen und endlich den großen Traum von Olympia zu erleben, wenn auch ganz anders als noch vor zwei Jahren erträumt.
Die Konkurrenz hatte in dieser Zeit aufgeholt. Einige Verbände haben viel investiert, Australien und die Schweiz sind stärker geworden. Und im Freestyle ist es wie im Eiskunstlauf. Da können alle Finalteilnehmer gewinnen, da geht es nicht nach der Bestzeit, sondern nach dem besten Eindruck, nach der besten Kür, nach Schwierigkeit und Kreativität. „Aber genau das finde ich ja so cool an meinem Sport, jeder hat seinen eigenen Style,“ sagt die 21-Jährige.
Lara Lessmann fand über ihre zwei älteren Brüder, Kim und John, zum BMX-Sport. Sie verbrachten jede freie Minute im Flensburger Skaterpark, der nur wenige hundert Meter von Laras Elternhaus entfernt liegt. Lara war gerade einmal neun Jahre alt, als sie diese Leidenschaft entdeckte. Doch zunächst musste sie sich mit Inlinern begnügen. Vielleicht dachten ihre Eltern damals, die Phase geht vorbei. Ging sie nicht. Schon damals zeichnete sich ab, dass diese Begeisterung ihr Leben prägen wird. Es dauerte nicht lange, und sie bekam ihr erstes eigenes BMX-Rad. Fortan war sie fast nur noch auf der Piste zu finden, gehörte schon bald zu den Besten. Um weiter zukommen wechselte sie von Flensburg nach Berlin, wo sie sich im Mellowpark zu einer der besten Freestylerinnen der Welt entwickelte. Bereits mit 17 gewann sie bei der Freestyle-WM in Chengdu in China die Silbermedaille. Ein Jahr später holte sie Gold bei den Jugend-Sommerspielen in Buenos Aires und schwärmt hoch heute von dem Zusammentreffen mit den vielen jungen Athletinnen und Athleten. „Das Gefühl werde ich nie vergessen.“
Für den Olympischen Traum opferte sie vieles, verbrachte jeden Tag viele Stunden auf dem Bike, hinzu kamen Krafttraining am Olympiastützpunkt Berlin und zwei Ausdauertage. Und sie arbeitet mit Mentaltrainern, denn beim BMX muss man nicht nur physisch, sondern auch psychisch auf der Höhe sein. „Ein Rückwärtssalto mit dem Fahrrad macht Spaß, ist aber schon auch gruselig,“ sagt Lessmann.
Beim Freestyle kommt es auf Kreativität, auf die Schwierigkeit der Tricks und Sprünge an. Für die Präsentation vor der Jury bleibt eine Minute Zeit. Da muss alles sitzen: jeder Jump, jede Bewegung. „Ich lebe für solche Momente, in den Wettbewerben kann ich jedem zeigen, was ich draufhabe,“ sagt Lessmann. In Tokio hat sie einen solchen Moment erwischt.
Im Porträt:
Geb: 10.2. 2000 in Flensburg
Wohnort: Berlin
Team:Mellowpark e.V.
Gr./Gw..: 1,63 / 51 kg
größte Erfolge:
2017: 2. Platz UCI World Championships South Carolina, USA, 2. Platz UCI World Cup in Chengdu, China
1. Platz UCI World Cup in Kroatien
2018: 4. Platz UCI World Championships Chengdu, China, 1. Platz UCI Worldcup in China, 1. Platz Youth Olympic Games Buenos Aires, Argentinien, 1. Platz Baltic Games Polen, 1. Platz Nass World Championships Bristol, England, 3. Platz UCI World Cup Frankreich und Japan
2019: 4. Platz UCI World Championships Chengdu, China, 2. Platz UEC European Championships Cadenazzo, Schweiz, 2. Platz Baltic Games Polen, 1. Platz National Championships Stuttgart, Deutschland, 2. Platz UCI World Cup in Japan
2020: 13. 3. Simple Session in Tallinn/EST
2021: 6. Olympische Spiele Tokio
Lara Lessmann privat
Was war dein bisher schönster sportlicher Erfolg? Die Goldmedaille bei den Jugendspielen in Buenos Aires. Nicht nur wegen des Sieges, sondern wegen der tollen Atmosphäre, der Riesenstimmung. Dort habe ich mich so aufgehoben gefühlt.
Was motiviert dich? Der Drang in mir, immer besser zu werden, den inneren Schweinehund zu überwinden, immer besser und stärker zu werden. Und die Community, die mich darin unterstützt.
Welche Vorbilder hast du? Drew Bezanson, ein klasse Freestyler.
Deine Lieblingsfächer in der Schule? Sport und Englisch.
Was ist dein Lieblingsessen? Pasta
Nenne deine persönliche Stärke/Schwäche: Meine mentale Stärke vor dem Wettkampf – mein Kopf, der zu viel denkt.
Auf was möchtest du nie verzichten? Auf mein BMX-Rad.
Welchen Traum möchtest du dir im Leben noch erfüllen? Einen Hund zu haben.
Was ist für dich ein perfekter Tag? Sonnenschein, ein gutes Training am Olympiastützpunkt, der mit einem schönen Lagerfeuer im Mellowpark ausklingt.
Welche Überschrift möchtest du gern einmal von dir lesen? „Lara Lessmann ist Olympiasiegerin.“