Es war eines der härtesten WM-Rennen der letzten Jahre, auch wenn große Steigungen diesmal im Profil fehlten. Der WM-Parcours von Glasgow war knallhart, technisch überaus anspruchsvoll, enge Straßen, scharfe Kurven, ein ständiger Rhythmuswechsel, keinen Moment zu verschnaufen.
Nach dem Start in Glasgow bildete sich die erste Ausreißergruppe um den Neuseeländer George Bennett, die nach 80 Kilometern unfreiwillig gestoppt wurde. Ein Umweltaktivist hatte sich auf die Straße geklebt und behinderte den Rennverlauf um mehr als 50 Minuten. Zwar hätten die Rennfahrer ihn passieren können, nicht aber die Begleitfahrzeuge, und so wurde das Rennen unterbrochen.
Danach raste das Peloton mit hoher Geschwindigkeit auf den Rundkurs in Glasgow (14,3 km), der insgesamt zehn Mal befahren werden musste. Der Vorsprung der Ausreißer, der maximal achteinhalb Minuten betrug, schrumpfte zusammen und in Runde fünf war es um sie geschehen.
Da hatten schon einige Fahrer die Waffen gestreckt, darunter Top-Sprinter Jasper Philipsen und auch der deutsche Zeitfahrmeister Nils Politt, der im ungünstigsten Moment Hinterradschaden erlitt und zurückfiel. Wer in diesem Rennen bei dem hohen Tempo einen Materialschaden hatte, der fiel aussichtslos zurück, und so auch Politt. Auch der dreimalige Weltmeister Peter Sagan kam in diese Situation und gab vorzeitig auf.
An der Spitze sorgten die Top-Fahrer der Profiszene für ein knallhartes Ausscheidungsfahren. Immer wieder verschärften Fahrer wie Titelverteidiger Remco Evenepoel oder Mathieu van der Poel und Tadej Pogacar das Tempo, dem viele zum Opfer fielen. Schließlich setzte sich van der Poel Ende der vorletzten Runde ab und feierte einen klaren Solosieg, den selbst ein Sturz 15 km vor der Ziellinie nicht stoppen konnte.
Der einzige deutsche Fahrer, der im Finale noch vorn mithalten konnte, war der erfahrene John Degenkolb, der schon so manche WM-Schlacht geschlagen hat und auch diesmal die Fahnen hochhielt. Der 33-Jährige belegte einen sehr guten 16. Platz. Auch Jonas Rutsch kämpfte sich noch ins Ziel und fuhr auf Rang 41. Nils Politt, Jannik Steimle, Nico Denz und Michel Heßmann gaben vorzeitig auf.
Stimmen:
John Degenkolb: „Wir haben uns als Mannschaft im ersten Teil gut behauptet. Michel Heßmann hat einen richtig guten Job gemacht, uns super positioniert. Es lief gut, bis das Malheur mit Nils passierte. Der Kurs lag ihm. Er war in Form und wurde dadurch um seine Chance beraubt, unter die besten Zehn fahren zu können. Mich persönlich macht es stolz, dass ich es bei meiner zehnten WM wieder geschafft habe, in die Top 20 zu fahren. Ich muss aber auch kritisieren, dass man diesen Kurs nicht in Frage gestellt hat. 45 Kurven in einer Runde, das hat mit einem ehrlichen Radrennen nichts mehr zu tun. Viele waren deshalb vom Kopf her nicht bereit, hohes Risiko zu gehen.“
Jonas Rutsch: „Der Kurs war schwierig, wir hatten am Anfang durch Defekte auch Probleme, unsere Position zu finden. Ich hing auch nach Stürzen von anderen hinterher und musste mich zurückkämpfen. Auf diesem Kurs musste man volle Granate fahren, man konnte kaum Positionen gut machen.“
Nils Politt: „Wir standen eine Stunde still, nachdem wir schon die ersten Positionskämpfe hatten. Dann da nass geschwitzt so lange zu stehen, das ist nicht optimal. Ich hatte später dann zu einem schlechten Zeitpunkt einen Platten, so 20, 30 km vor der Runde, als kleinere Nationen abgehängt waren und Barrage gemacht wurde. Ich hing da genau dazwischen, musste sehr viel Energie aufwenden, um wieder ans Feld heranzukommen, hatte dann keine gute Position. Es war aussichtslos.“
Jannik Steimle: „Meine Beine waren nicht so schlecht. Als Team sind wir von Anfang an sehr kompakt gefahren. Die lange Zwangspause (Anmerkung: ein Klimaaktivist blockierte die Strecke) hat den Beinen nicht gutgetan. Zehn Kilometer vor dem Rundkurs musste ich dann das Rad wechseln. Ich kam zwar zurück, war aber angeschlagen. Und als dann vor mir die Löcher aufgegangen sind, konnte ich zwei, drei noch zufahren, aber das wars dann.“
Nico Denz: „Ich habe nicht die Beine gehabt heute. Die richtige Position im Rennen war extrem wichtig. Fuhr man einmal hinterher, dann war es sehr schwer, das zu korrigieren. Es ist ein brutales, ein hartes Rennen.“
Michel Heßmann: „Man konnte nicht erwarten, dass wir mit drei Mann unter die Top-Ten fahren. Nach Nils Ausscheiden habe ich noch versucht, John in eine gute Position zu bringen, was auch geklappt hat.“
André Greipel, Teamchef: „Es ist ein ehrliches Ergebnis. Die besten Fahrer sind vorn. Wir hatten leider zweimal im schlechtesten Moment Defekt durch Nils Politt und Jannik Steimle. Nils hat sich von der Nachführarbeit nicht mehr erholt. Wenn du in dem Rennen abgehängt warst, musstet du permanent am Anschlag fahren, um wieder ranzukommen. Das geht mal zwei, drei Runden. John ist sehr hartnäckig gefahren, immer in guter Position, bis drei Runden vor Schluss hat er sich sehr gut gewehrt und am Ende das beste Ergebnis eingefahren. Damit müssen wir zufrieden sein. Es war das Maximale, was wir heute rausholen konnten.“
Bild: die deutschen Fahrer (1. Reihe: Degenkolb, Steimle, Politt) auf dem Weg zum Start.