Ihre Beine zitterten, als sie vom Rad stieg und die wenigen Stufen von der Bahn hinunterlief. Die Anstrengung in ihrem verschwitzten Gesicht war deutlich zu sehen, die Wangen gerötet, der Mund geöffnet, schnappte die 30-Jährige nach Luft. Aber da war auch gleichzeitig das Strahlen in ihren Augen, die Gewissheit, etwas ganz Großes geschafft zu haben.
„Davon habe ich immer geträumt, dass ich einmal einen großen Bahntitel gewinnen würde“, sagte sie und fiel ihren Betreuern lachend in die Arme. In unglaublichen 3:26,879 Minuten hatte sie die 3000 Meter zurücklegt, ihre britische Rivalin Katie Archibald mühelos um mehr als zwei Sekunden distanziert und einen neuen deutschen Rekord aufgestellt.
Das schottische Publikum feuerte in den ersten Runden im europäischen Titelkampf Archibald frenetisch an, aber als sie merkten, dass diese am dritten Abend der Bahn-EM in Glasgow chancenlos gegen die Deutsche war, wurden die Beifallsrufe leiser.
Lisa Brennauer fuhr an diesem Abend das Rennen ihres Lebens. „Das muss ich erst einmal realisieren. Das war das erste Mal, dass ich in einem internationalen Finale stand. Dass ich Archibald in ihrer Heimat schlagen konnte, macht den Erfolg ganz groß. Ich bin sprachlos, auch über meine gefahrene Zeit,“ sagte die Allgäuerin nach ihrem Triumph. „Diese Halle, diese Atmosphäre, das alles hat mich gepuscht,“ so die frischgebackene Europameisterin, die das Finale ähnlich angehen wollte, die die vorangegangenen Läufe. „Aber dann habe ich in den letzten vier Runden gar nicht mehr geguckt, wie ich liege, sondern habe alles aus mir herausgeholt, was ich hatte.“
Einen Tag zuvor hatte Brennauer bereits Bronze mit dem Vierer gewonnen. Die Bahn hat sie wieder. 2010 war sie EM-Dritte in der Mannschaftsverfolgung, 2011 Zweite und 2013 wurde sie Deutsche Meisterin in der Einerverfolgung. Danach aber kehrte sie der Bahn den Rücken und konzentrierte sich auf die Straße, wo sie große Erfolge feierte. Sie gewann mehrere WM-Titel im Mannschaftszeitfahren, wurde WM-Zweite im Einzelrennen und eroberte sich als Höhepunkt 2014 das Regenbogentrikot im Einzelzeitfahren. Daneben feierte sie zahlreiche Deutsche Meistertitel und Etappensiege. Doch die Liebe zur Bahn ließ Brennauer nie los. Und die Goldmedaille von Glasgow, sie bekommt einen ganz besonderen Platz zu Hause. „Nach vier Jahren Pause von der Bahn war der Weg nach oben für mich ein kleiner Kampf. Darum hat diese Medaille für mich einen sehr hohen Stellenwert.“
Es war übrigens die erste deutsche Goldmedaille in einer Einzeldisziplin bei diesen Europameisterschaften von Glasgow, die ja immerhin sieben verschiedene Sportarten vereinten.
Als 2017 die Bahn-Europameisterschaften in Deutschland stattfanden, war dies ein Grund für sie zurückzukehren. Allerdings stand ihr Neustart unter keinem guten Stern. Nach starker Leistung in der Qualifikation stürzte Brennauer in der ersten Runde der Mannschaftsverfolgung, brach sich das Schlüsselbein und schied aus. Einige Monate später kam sie zurück, wurde souverän Deutsche Meisterin in der Einerverfolgung, nachdem sie zuvor auch auf der Straße sehr erfolgreich war: Sieg in der Thüringen-Rundfahrt, Gewinn der Deutschen Zeitfahrmeisterschaft auf der Straße.
Brennauer hat die Gabe, sich sehr schnell von der Bahn auf die Straße umzustellen und umgekehrt. Nach einem Lehrgang in Frankfurt/Oder im Rahmen der EM-Vorbereitung, flog sie mal eben nach London, um am Prudential Ride teilzunehmen und anschließend nach Glasgow zu reisen. „Ein paar Tage sind immer nötig, um reinzukommen, aber es geht schnell“, sagt sie.
Dass sie nur wenige Stunden nach der Siegerehrung in der Einerverfolgung im Straßenrennen starten würde, nahm sie gelassen: „Konnte ja niemand ahnen, dass ich es in den Verfolgungsrennen jeweils bis ins Finale schaffen würde,“ lachte sie und ging mit der Lockerheit einer frischgekürten Europameisterin am Sonntag an den Start des Straßenrennens, wo sie sich nach einer phantastischen Mannschaftsleistung nach 130 Kilometern im Finale im Sprint den dritten Platz hinter der Italienerin Marta Bastianelli und Titelverteidigerin Marianne Vos sicherte. „Ich kann es gar nicht fassen, bin unglaublich stolz, vor allem auch auf diese Mannschaft,“ sagte Brennauer nach ihrem dritten Edelmetall in Glasgow.
Fotoquelle: UEC