Wichtigste Zielsetzung war, die ersten Punkte für die Olympia-Qualifikation zu sammeln, was die Athletinnen und Athleten in Glasgow voll erfüllten. „Wir denken in Olympischen Zyklen. In Glasgow begann für unsere Bahnfahrer die erste Stufe der Olympia-Qualifikation. Und diese Hürde haben sie gut genommen“, zog BDR-Sportdirektor Patrick Moster ein zufriedenes Fazit.
Im Teamsprint der Männer konnte nach den Rücktritten von Max Niederlag und René Enders wieder international der Anschluss an die Weltspitze vollzogen werden. Auch im Ausdauerbereich geht es weiter voran. Der Vierer der Männer belegte einen guten vierten Platz, die Frauen schafften es sogar als Dritte aufs Podest. „Die Personaldecke speziell im Frauenbereich ist entspannter geworden,“ sagt Moster und nennt mit Lisa Brennauer, Lisa Klein und Charlotte Becker drei Beispiele von erfolgreichen Straßenfahrerinnen, die auch wieder für die Bahn gewonnen werden konnten.
Besonders Sprint-Bundestrainer Detlef Uibel zeigte sich erleichtert darüber, dass die Teamsprinter ihre Krise überwunden haben. „Nach der Qualifikation hatte ich sogar auf eine Silbermedaille gehofft,“ so Uibel, „aber Bronze geht in Ordnung, ist ein respektables Ergebnis. Der erste Schritt in Richtung Tokio ist getan.“
Positiv äußerte sich Uibel über die EM-Premiere des erst 19-Jährigen Timo Bichler vom RSV Dudenhofen. „Er ist physisch und psychisch sehr stabil. Seine Entwicklung im letzten halben Jahr ist bemerkenswert. Ein Mann für die Zukunft.“ Bichler war der Anfahrer der Teamsprinter und meisterte seine Aufgabe mit Bravour.
Joachim Eilers knüpfte mit Bronze im Teamsprint und Silber im Zeitfahren an seine alte Klasse an. „Jo hat nach Rio viel verändert, anderes Krafttraining, neue Sitzposition, das brauchte seine Zeit,“ sagt Bundestrainer Detlef Uibel, der sich freute, „dass Eilers rechtzeitig zu Beginn der Olympia-Qualifikation wieder da ist. Jo ist auf einem sehr guten Weg,“ so Uibel, der den Chemnitzer als letzten Mann im Teamsprint einsetzte, wo er voll überzeugen konnte. Auch im Zeitfahren war er Weltklasse. „Sicher hätte ich gern gewonnen, aber ich freue mich auch sehr über die Silbermedaille,“ so Eilers. Enttäuscht war der Chemnitzer allerdings, dass er es nicht ins Keirin-Finale schaffte. Den Vorlauf fuhr er von vorn und wurde trotzdem nur Vierter. „Normalerweise ist mir das nicht mehr zu nehmen“, ärgerte er sich. Der Gewinn des kleinen Finales war nur ein schwaches Trostpflaster. „Ich werde meinen Trainingsaufbau überdenken,“ meinte der Chemnitzer in Glasgow.
Silber war auch der verdiente Lohn von Stefan Bötticher im Einzelsprint, der in Glasgow ein tolles Comeback feierte. Der Chemnitzer litt lange Zeit an muskulären Problemen und hatte sich eine Auszeit genommen. In Glasgow war er fast wieder der Alte, fuhr ein großartiges Sprintturnier und setzte mit dem Sieg im Keirin-Finale dem Ganzen die Krone auf (siehe Extra-Story).
Bei den Frauen lobte Uibel die Leistungen der jungen Ema Hinze, die kurzfristig für die verletzte Kristina Vogel eingesprungen war und ihre erste Europameisterschaft in der Eliteklasse bestritt. „Emma zeigte bei den Deutschen Meisterschaften überragende Leistungen und konnte das Niveau noch ausbauen. Im Teamsprint hat sie in der zweiten Runde die beste Zeit von allen gefahren. Was ihr noch fehlt ist die Wettkampfpraxis.“ Im abschließenden Keirin-Rennen fuhr sie allerdings schwächer als sie es eigentlich kann.
Miriam Weltes Routine war in Glasgow Gold wert. So fuhr sich die Pfälzerin erst locker durch den Teamsprint, wo sie gemeinsam mit Emma Hinze Bronze gewann, meisterte das Sprintturnier, das sie auf dem vierten Platz beendete und gewann ihre zweite Bronzemedaille im 500-m-Zeitfahren, ihrer Paradedisziplin. Da war sie nach der Qualifikation nur auf dem vierten Platz gelandet, wählte dann im Finale einen dünneren Gang und verpasste Silber nur um sieben Tausendstel Sekunden. „Das ist zwar ärgerlich, aber ich bin glücklich, dass es doch noch zu Edelmetall gereicht hat. Nach den wirklich harten und kräftezehrenden Sprintläufen hatte ich schwere Beine. Aber ich habe dann noch mal alles in das 500-m-Finale gesteckt,“ sagte die amtierende Zeitfahr-Weltmeisterin.
Sie schaffte es im Sprint bis ins kleine Finale und musste deshalb alle Läufe bestreiten. „Kristina hat mir noch Tipps gegeben, und ich hatte ihre Stimme immer im Kopf. Ich hätte gern für sie diese Medaille gewonnen,“ erinnerte Welte, an die verletzte Kristina Vogel, die ein Jahrzehnt lang ihre feste Partnerin im Teamsprint war.
Die Erfurterin, die sich bei einem Trainingssturz in Cottbus schwer verletzte und seitdem in Berlin medizinisch versorgt wird, war in Glasgow allgegenwärtig. Es waren die ersten internationalen Wettkämpfe für die deutsche Bahnmannschaft ohne die Ausnahmeathletin. „Die Mannschaft hat extrem gut gearbeitet, wollte die Lücke, die Kristina gerissen hat, füllen, ihr etwas zurückgeben. Kristina war die ganze Zeit omnipräsent,“ sagte BDR-Sportdirektor Patrick Moster.
Sehr gut waren auch die Leistungen in den Ausdauerdisziplinen, wo seit einiger Zeit zwar ein Aufwärtstrend erkennbar ist, der sich aber bisher noch nicht in den Medaillen widerspiegelte. Dass dann in Glasgow gleich zwei Athleten des BDR Gold in der Einerverfolgung gewannen, das hatte es in der Geschichte von Welt- und Europameisterschaften noch nie gegeben. Domenic Weinstein, starker Motor des Vierers, der auf den vierten Platz fuhr, gewann nach Bronze 2017 und Silber 2016 endlich den ersehnten Titel und jubelte im Ziel: „Um diese Goldmedaille habe ich so lange gekämpft. Endlich habe ich ein unternationales Meistertrikot.“
Lisa Brennauer hatte es im einen Tag vorher vorgemacht und wie Weinstein in neuer deutscher Rekordzeit das Verfolgerturnier beherrscht. Die Allgäuerin war die herausragende BDR-Athletin dieser Europameisterschaften. Zunächst holte sie Bronze in der Mannschaftsverfolgung zusammen mit Charlotte Becker, Gudrun Stock und Mieke Kröger, dann Gold im Einzel und schließlich gewann sie nur einen Tag später auch noch Bronze auf der Straße. „Wahnsinn, ich weiß wirklich nicht, woher ich die Kraft hole. Aber ich habe einfach Spaß daran, bin voll motiviert“, so Brennauer, die sich besonders über die hohe Medienpräsens in Glasgow freute. „Endlich bekommt der Bahnsport auch mal die Aufmerksamkeit, die er verdient.“
Für Bundestrainer Korff war die Rückkehr Brennauers auf die Bahn „die Initialzündung, dass der deutsche Ausdauerbereich bei den Frauen einen neuen Schub bekommen hat.“ Korff konnte mit Anna Knauer, die Silber im Ausscheidungsfahren gewann, seine dritte Medaille feiern.
Für Sven Meyer, verantwortlich für den Ausdauerbereich der Männer, hatten die Verfolger-Disziplinen höchste Priorität. „Dort haben wir die ersten Punkte für die Olympia-Qualifikation geschafft,“ freute sich Meyer über den vierten Platz in der Mannschaftsverfolgung. „Gegen den Weltmeister zu verlieren ist keine Schande,“ meinte Theo Reinhardt, „aber natürlich hätten wir gern Bronze gewonnen.“
Die Medaille gab es für den Berliner dann doch noch: Zusammen mit Roger Kluge holte er Silber im Madison. Die amtierenden Weltmeister, die in dieser Formation auch bei den Olympischen Spielen in zwei Jahren in Tokio antreten wollen, mussten im Finale nur Belgien den Vortritt lassen. „Uns hat ein wenig die Spritzigkeit gefehlt. Da war Belgien heute im Vorteil,“ sagte Kluge. Und Reinhard ergänzte: „Das Trikot (Anmerkung: Regenbogentrikot des Weltmeisters) hat uns beflügelt, wir hatten aber auch eine Menge Druck und jeder hatte uns im Auge.“
Das Berliner Erfolgsduo will nun in den kommenden Monaten einige Wettkämpfe gemeinsam bestreiten. Man wird sie bei den Weltcups und auch bei einigen Sechstagerennen antreffen. „Wir sind auf Kurs“, sagt Kluge mit Blick auf Olympia 2020.
Die BDR-Medaillengewinner von Glasgow (Bahn)
Gold
Stefan Bötticher – Keirin
Lisa Brennauer – Einerverfolgung
Domenic Weinstein – Einerverfolgung
Silber
Stefan Bötticher – Sprint
Joachim Eilers – 1000-m-Zeitfahren
Anna Knauer – Ausscheidungsfahren
Roger Kluge/Theo Reinhardt – Madison
Bronze
Miriam Welte – 500-m-Zeitfahren
Welte/Emma Hinze – Teamsprint Frauen
Timo Bichler/Bötticher/Eilers – Teamsprint Männer
Brennauer/Charlotte Becler/Gudrun Stock/Mieke Kröger – Mannschaftsverfolgung Frauen