Goldener Abschied für Tony Martin

Nach dem Triumph der deutschen Mixed-Staffel wollte der Interview-Marathon nicht enden. ARD, ZDF, Eurosport, dänisches und belgisches Fernsehen waren genauso an Tony Martin interessiert, wie die Journalisten aus den USA und Australien. Als er nach Dutzenden von Fragen fast zwei Stunden nach der Siegerehrung das Pressezentrum in Brügge verließ, erhoben sich die anwesenden Journalisten und ehrten ihn mit Standing Ovations. Mit Tony Martin verlässt einer der Größten des deutschen Radsports die internationale Bühne.

Es war sinnbildlich für den großen Respekt, den die ganze Radsport-Welt diesem Athleten entgegenbringt. Ob bei Rennfahrerkollegen, Teamleitern oder Journalisten, Tony Martin war in den fast 15 Jahren seiner Profikarriere ein stets geachteter und beliebter Sportler, den jeder schätzte, der Vorbild war für viele.

Und dass sich das Zeitfahr-Ass, der Tempobolzer, der Teamplayer, den sie wegen seines großen Motors den „Panzerwagen“ nannten, mit seinem achten WM-Titel von der Bühne des Radsports verabschieden konnte, besser hätte es nicht laufen können.

„Das ist der beste Abschluss, den man sich wünschen kann. Die Radsportbühne mit einer Gold-Medaille zu verlassen, das ist ein Traum. Besser konnte ich es mir nicht vorstellen. Und ich danke dem ganzen Team, besonders den Frauen, die das möglich machten,“ sagte Martin nach der Siegerehrung. „Ich habe die ganze Woche hier in Belgien sehr genossen. Wir haben auf Gold gehofft und jetzt ist der Traum wahr geworden. Jetzt ist nicht die Zeit, auf die Karriere zurückzublicken und Bilanz zu ziehen, jetzt ist Zeit zu feiern.“

Und das tat die deutsche Mannschaft. Als Martin und seine fünf Mitstreiter nach dem Rennen ins Hotel kamen, waren alle Rennfahrer mit Betreuern versammelt und applaudierten. Schon vor der Siegerehrung hatte BDR-Vize-Präsident Günter Schabel Tony Martin ein Trikot mit einem Dankesspruch übergestreift, dass BDR-Sponsor Bioracer in kürzester Zeit noch schnell produziert hatte und per Kurier nach Brügge brachte.  Im Hotel gab es eine große Torte, eine Diashow erinnerte an die großen Momente seiner Karriere, eine Schokoladen-Fahrrad aus der Schokoladen-Stadt Brügge soll an seinen letzten Einsatz als Rennfahrer erinnern. Und natürlich gab es für alle ein Glas Sekt, um auf den Erfolg anzustoßen. Kurz nach Mitternacht zogen sich aber die Letzten zurück, denn für die meisten geht die WM morgen weiter, wenn die Straßen-Wettbewerbe beginnen.

Im allerletzten Rennen in der Karriere von Tony Martin hat die deutsche Mixed-Staffel in Brügge Gold gewonnen und die niederländischen Titelverteidiger bezwungen. Nikias Arndt, Tony Martin, Max Walscheid, Lisa Brennauer, Lisa Klein und Mieke Kröger setzten sich über insgesamt 44,5 Kilometer, die in je 22 Kilometer für die drei Männer und 22 Kilometer für die drei Frauen aufgeteilt waren, mit 13 Sekunden Vorsprung gegen die Niederlande und vor Italien durch. Alle haben bis zur Erschöpfung gekämpft, waren im Ziel völlig fertig. Aber dann kannte der Jubel keine Grenzen. Und das erstaunlichste dabei war, dass natürlich alle über den Titel jubelten, sich aber am meisten darüber freuten, dass sie Martin einen solchen Abschied bereiten durften.

„Das bedeutet sehr viel. Es war ein superschmerzhaftes Rennen und ich denke, wir sind alle über unsere Limits gegangen. Es ist wirklich toll, Teil dieses Teams zu sein. Die Atmosphäre war die letzten Tage schon supergut. Ich habe den ganzen Weg hierhin genossen“, sagte beispielsweise Lisa Klein und ergänzte: „Es ist eine große Ehre für uns alle, heute mit Tony um den Sieg gekämpft zu haben und ihm so ein Abschiedsgeschenk zu machen.“

„Wir wussten, dass es nicht einfach wird, aber Tony hat noch einmal einen besonderen Schwung reingebracht,“ sagte Mieke Kröger, für die es nach Olympia-Gold der zweite große Triumph in dieser Saison war. Kröger war schon vor zehn Jahren als Juniorin in Kopenhagen dabei, wo Tony seinen ersten WM-Titel holte und sie erinnert sich: „Ich weiß noch, wie wir alle beim Essen saßen und er dann im Weltmeistertrikot reinkam und wir alle applaudiert haben.“

„Dieser erste Titel, er wird immer der größte Moment meiner Karriere sein,“ sagte Martin, „und auch der Sieg 2016 in Katar, das Comeback, das war ein besonderes Erlebnis, aber der Sieg heute, mit diesem Team, das war einfach perfekt. Ich bin sehr glücklich, so meine Karriere beenden zu können.“

Auch Lisa Brennauer, hochdekorierte, erfolgreiche Athletin, mit Kröger, Klein und Franziska Brauße im August Olympiasiegerin in der Mannschaftsverfolgung, meinte stolz: „Wir waren heute hoch motiviert: Sechs Sportler, die einen super Tag erwischt haben und sich jetzt über diesen Sieg freuen dürfen.“

Maximilian Walscheid erzählte nach dem Rennen, dass er sich super gefühlt habe und stolz sei, sich in das Team eingebracht zu haben. „Tony war immer ein Vorbild für mich. Dieser Sieg überstrahlt alle vorherigen. Ich bin stolz, Teil dieser Mannschaft zu sein.“

„Es ist ein Wahnsinnsgefühl, ich muss immer dieses Trikot anfassen. Ich kann das noch gar nicht glauben,“ jubelte auch Nikias Arndt über seinen ersten WM-Titel auf der Straße.

Und als Tony Martin Stunden nach dem Triumph müde in sein Hotelzimmer ging, mag er für einen Moment darüber nachgedacht haben, dass sein Leben jetzt ein anderes sein wird.  „Dass heute so viele Menschen zu mir kamen, mir dankten und gratulierten und mir sagten, dass sie mich vermissen werden, das ist eine große, große Ehre“, sagte er. 20 Jahre hat der Radsport Tony Martins Leben geprägt, jetzt beginnt ein anderer Abschnitt. Natürlich wird er das alles vermissen, aber er ist auch befreit vom Druck, vom randvollen Terminkalender.

Morgens früh um acht Uhr nach seinem letzten WM-Triumph saß Martin schon in seinem Auto, fuhr nach Hause in die Schweiz. Und muss zum ersten Mal seit fast 20 Jahren nicht darüber nachdenken, welche Dinge er als nächstes erledigen muss. Mit seiner Lebensgefährtin Nina und den beiden Töchtern fährt er im Oktober erst einmal in den Urlaub. Und danach will er weitersehen.

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