Traditionell ist vor allem die Kurzzeitmannschaft von Sprint-Bundestrainer Detlef Uibel eine sichere Medaillenbank. „Wir sind bei den Olympischen Spielen und da ist jeder Medaillengewinn erst einmal ein Erfolg. Auch wenn wir bei den Weltmeisterschaften in London dieses Jahr mit sechs Medaillen sehr erfolgreich abgeschnitten haben, würde ich nach wie vor daran festhalten, dass wir mit zwei oder drei Medaillen ein sehr gutes Ergebnis haben“, warnte der 57-Jährige aber vor überzogenen Erwartungen.
Zu den Medaillenanwärterinnen zählt vor allem Kristina Vogel. Die siebenfache Weltmeisterin aus Erfurt könnte sowohl in Sprint, Keirin und auch im Team zusammen mit Miriam Welte (Kaiserslautern) eine Medaille holen. Vor vier Jahren in London schaffte das Duo sogar den Sprung nach ganz oben, holte Gold im Teamsprint. „Für mich lief die komplette Vorbereitung gut. Ich konnte ohne Ausfall trainieren und freue mich jetzt auf die Spiele in Rio und auch das ganze Drumherum“, sagte Vogel nach der Anreise. Und Miriam Welte, die sich auf den Teamsprint konzentriert, ergänzt: „In der Top-Position sind die Russinnen und die Chinesinnen. Wenn man die Ergebnisse der letzten beiden Weltmeisterschaften anschaut, jagen wir eher, als dass wir gejagt werden.“
Bei den Männern liegen die Medaillenhoffnungen auch auf dem Teamsprint, auch wenn Max Niederlag wegen eines grippalen Infekts seine Teilnahme an dieser Disziplin absagen musste. Für ihn startet nun Maximilian Levy (Chemnitz), der sich gemeinsam mit René Enders (Erfurt) und Joachim Eilers ( Chemnitz) dem Traum vom Olympischen Edelmetall ein drittes Mal erfüllen will. Levy und Enders gehörten bereits 2008 in Peking und 2012 in London zum Bronze-Trio. „Der Ausfall von Max Niederlag ist ein herber Schlag für uns. Wir haben seit der WM in London im Teamsprint Feintuning betrieben. Das Trio war perfekt aufeinander eingestellt. Das ist jetzt alles in Frage gestellt. Wir müssen Kompromisse machen, können nur noch einmal, morgen, auf der Bahn unter Wettkampfbedingungen testen. Optimal sieht anders aus. Unsere Medaillenchancen im Teamsprint sind durch den Ausfall von Niederlag gesunken. Bei der WM hatten wir zwei Tausendstel Sekunden Vorsprung auf dem fünften Platz. Das zeigt, wie dicht es an der Spitze zugeht. Ob Niederlag später im Einzelsprint starten kann, muss man abwarten.“
In den Einzeldisziplinen setzt Uibel daher auf Maximilian Levy. Der Cottbuser, über eine Sonderregel in die Mannschaft gerutscht, will in Sprint und Keirin das Vertrauen mit Leistung zurückzahlen. Im Keirin gehört Weltmeister Eilers natürlich ebenfalls zum engsten Favoritenkreis.
Wie Levy ist auch Zimmerkollege Roger Kluge aus Cottbus zum dritten Mal bei den Spielen dabei. Nach Silber 2008 im Punktefahren in Peking und Platz vier 2012 in London bei der Olympia-Premiere des Mehrkampfes Omnium möchte der 30-Jährige erneut auf das Podium fahren. „Ich will eine Medaille, am besten Gold“, sagte der Straßen-Profi, der bei der WM in London einen überragenden Sechskampf ablieferte und sich die Silbermedaille holte. Schärfster Konkurrent für den Giro-Etappensieger dürfte indes der Brite Mark Cavendish werden, der zuletzt bei der Tour de France mit vier Etappensiegen glänzte.
In der Mannschaftsverfolgung der Männer will das deutsche Team nach der erstmaligen Olympia-Qualifikation seit 2004 den Aufwärtstrend unter Bundestrainer Sven Meyer auch bei den Spielen bestätigen. Die Trauben hängen aber hoch, nicht nur, weil Titelverteidiger Großbritannien Sir Bradley Wiggins auf die Bahn zurückgeholt hat und die Briten bereits im Training einen neuen Weltrekord fuhren. Bei der WM 2015 konnte das Quartett mit deutschem Rekord zu Platz vier rasen. „Mit einer Top-Fünf-Platzierung wäre ich sehr zufrieden, das ,kleine Finale` wäre traumhaft. Für eine Medaille muss alles perfekt sein und bei den anderen Mannschaften wohl etwas schiefgehen”, sagte Nils Schomber, der gemeinsam mit Henning Bommel, Kersten Thiele und Domenic Weinstein (alle rad-net ROSE-Team) starten wird.
Nach den ersten Trainingstagen in Rio ist Bundestrainer Sven Meyer angesichts der Wettkampfbedingungen nicht mehr so optimistisch wie noch vor dem Abflug: „Die Bedingungen hier in Rio sind sehr schwankend. Die Bahn ist sehr schwer zu fahren, was vor allem an den Windverhältnissen liegt. Wir hatten Trainingseinheiten mit sehr guten Zeiten, aber auch andere mit weniger guten. Die Fahrer sind in guter Verfassung, aber weil es keine konstanten Wettkampfbedingungen geben wird, ist es schwer einzuschätzen, wohin die Reise gehen wird“, sagte Meyer nach dem gestrigen Training in Rio.
Seine Einschätzung bestätigt auch Frauen-Bundestrainer André Korff: „Auf der Bahn fegt permanent der Wind, mal von oben, mal von der Seite. Es zieht ständig. Das macht vor allem bei den Wechseln Probleme. Der Vierer wirkt unruhig. Die Bahn ist sehr schwierig zu fahren, sie ist noch sehr klebrig“, urteilt der Rostocker, dessen Vierer mit „Lokomotive“ Mieke Kröger (Bielefeld), Stephanie Pohl (Cottbus), Charlotte Becker (Berlin) und Gudrun Stock (München) genau wie Omniums-Fahrerin Anna Knauer (Eichstädt) als Außenseiter an den Start gehen.