150 Kilometer geht es am Sonntag durch den heißen Wüstensand, bevor der Rundkurs auf der Pearl, der Halbinsel vor Doha, erreicht wird und das Rennen in seine entscheidende Phase geht. Mindestens zwölf Flaschen wird jeder Fahrer trinken müssen, um nicht zu dehydrieren.
Der Bund Deutscher Radfahrer schickt André Greipel als Kapitän ins Rennen, und hat mit Marcel Kittel einen weiteren sprintstarken Joker im Ärmel. Beide wollen Weltmeister werden, doch interne Rivalität entsteht trotzdem nicht. „Wir kennen den Kurs, aber wir wissen nicht, was uns unter Wettkampfbedingungen erwartet,“ sagt Marcel Kittel. Die größte Chance für das deutsche Team sieht er auch in einem vertrauten Miteinander. „Es geht um Ehrlichkeit. Wir müssen miteinander sprechen. Viel wird von der jeweiligen Rennsituation abhängen“, sagt der Erfurter und ergänzt: „Klar wäre ich auch gern Kapitän gewesen, aber diese Konstellation eröffnet uns weitere Chancen. Am Ende werden wir die richtige Lösung finden“, ist Kittel überzeugt.
Das sieht Kapitän Greipel ähnlich. Der gebürtige Rostocker ist keiner der Krawall macht, sondern für einen Sprinter erstaunlich introvertiert. Dass er ausgerechnet vor dem wichtigsten Rennen des Jahres auf seinen wichtigsten Helfer Marcel Sieberg verzichten muss, der zu Hause eine Lungenentzündung auskuriert, schmerzt. „Bei ihm kann ich mich blind ans Hinterrad setzen,“ sagt Greipel, der aber längst gelernt hat auf eigene Faust zu gewinnen und nicht unbedingt einen Sprinterzug braucht. Das ist von Vorteil am Sonntag, denn die deutsche Mannschaft hat nur sechs Fahrer im Rennen. Die Kräfte der Helfer werden aufgebraucht sein, wenn es auf die Zielgerade von Doha geht.
Das Rennen am Sonntag ist die vermutlich letzte Chance Greipels, das Regenbogentrikot zu gewinnen. „Ich werde versuchen, Weltmeister zu werden“, ist er dennoch zurückhaltend mit der Formulierung seiner Ziele. Er weiß, dass der Erfolg vom Team abhängt, vom Zusammenhalt, von der Ehrlichkeit untereinander, aber auch vom Rennen selbst. Diese 260 Kilometer am Sonntag sind nicht kalkulierbar. Und das macht es so schwierig. „Man muss sich seine Kräfte gut einteilen. Fährst du einmal im roten Bereich, erholst du dich nicht mehr,“ sagt der Deutsche Meister.
Seinen Körper hat er zu Hause mit Saunagängen nach dem Training an die Hitze gewöhnt. „Das war nicht lustig, nach einem sechsstündigen Training noch in die Sauna zu gehen,“ erzählt der 34-Jährige, der am Sonntag seine erfolgreiche Karriere krönen könnte. .
„Als Team erfolgreich sein und das Maximum herausholen“, beschreibt John Degenkolb das Ziel für Sonntag. „Ich habe ein gutes Gefühl für das Rennen, weil wir uns als Team gefunden haben.“
Während Greipel und Kittel ganz gut mit der Hitze klar kommen, mag es der Frankfurter lieber nicht so warm. Er selbst befände sich in einer guten, wenn auch nicht überragenden Form. Doch wenn es nicht zum Massensprint kommt, sondern eine Ausreißergruppe geht, dann erhöht das die Chancen Degenkolbs. Wie der Kampf um den WM-Titel wirklich laufen wird, das weiß heute noch niemand. „Das wird ein richtiges Pokerspiel“, glaubt Degenkolb und hält sich an die Teamorder „so wenig wie möglich über die Taktik zu verraten, um für die Konkurrenz nicht noch angreifbarer zu werden.
Heute Abend werden die beiden Sportlichen Leiter Andreas Klier und Jan Schaffrath mit den Fahrern besprechen, wie sie im Rennen am Sonntag agieren sollen. Der Freiburger Jan Sütterlin, der Hürther Nils Politt und auch Zeitfahr-Champion Tony Martin werden die Helferrolle übernehmen und für eine gute Ausgangsposition fürs Finale sorgen. Kein Geheimnis ist, dass die deutsche Mannschaft eine defensive Fahrweise einschlagen wird. „Wir sind nur sechs Fahrer, von uns erwartet keiner, dass wir die Initiative ergreifen“, sagt Greipel.
Darum weiß auch die ausländische Konkurrenz, wie gefährlich das deutsche Sextett werden kann. „Sie haben weniger Fahrer als wir im Rennen, sie müssen nicht das Tempo bestimmen, aber genau deshalb sind sie so gefährlich. Keine Mannschaft hat drei Fahrer im Team, die alle Weltmeister werden können“, sagte beispielsweise Tom Boonen, Teamkollege von Kittel und Martin bei Etixx-Quick Step.
Jedenfalls fürchtet sich die internationale Konkurrenz sehr davor, dass am Sonntag endlich ein Nachfolger für Rudi Altig, der vor 50 Jahren der letzte deutsche Straßenprofi-Weltmeister war, gefunden werden könnte.