Der deutsche Vierer fuhr in Tokio wie entfesselt: Franziska Brauße (Eningen), Lisa Brennauer (Durach), Lisa Klein (Erfurt) und Mieke Kröger (Bielefeld) waren perfekt auf das Olympische Turnier eingestellt, fuhren in der Qualifikation in 4:07,307 Minuten einen neuen Weltrekord, den sie in der nächsten Runde noch einmal verbesserten auf 4:06,159 Minuten. Im Finale gegen Großbritannien lagen sie von Beginn an in Führung, rauschten perfekt über das Lattenoval und wurden in neuer Weltrekordzeit von 4:04,242 Minuten Olympiasiegerinnen.
„Ich bin überwältigt. 4:06 Minuten, das war eine Zeit, die sich im Training abzeichnete. Dass sie das im Finale noch einmal um zwei Sekunden unterbieten würden, ist Wahnsinn. Sie haben alles rausgeholt, sind fantastisch gefahren,“ meinte Bundestrainer André Korff nach der Goldfahrt des deutschen Quartetts.
BDR-Präsident Rudolf Scharping schickte Glückwünsche aus der Heimat: „Wir sind superstolz und bewundern eine Teamleistung, wie sie besser nicht sein kann.“
Lisa Brennauer vergaß im Moment des großen Triumphes nicht ihre Teamkollegin Gudrun Stock, die aus gesundheitlichen Gründen nicht dabei sein konnte, die Entwicklung des Vierers aber mitgeprägt hatte. „Gudrun war auf dem Weg hierher ein großer Bestandteil der Gruppe. Der Weltrekord geht auch auf ihre Kappe, auch wenn sie nicht mit ihren eigenen Beinen da war.“
weitere Stimmen:
Lisa Klein: „Es ist einfach eine Harmonie. Das haben wir ganz gut drauf. Wenn es läuft, ist es wie auf Schienen.“
Franziska Brauße: „Wir haben mit einer Medaille spekuliert und waren nach der Quali erst mal erstaunt, dass die anderen nicht an unsere Zeit herankamen. Dann war klar: Wir wollten unbedingt dieses Gold und sind immer schneller geworden,“
Mieke Kröger: „Wir sind wahnsinnig stolz und nehmen jetzt alles mit, was kommt.“ (mit Blick auf weitere Pressetermine und Ehrungen im Olympischen Dorf)
Lisa Brennauer: „Das Gefühl bei der Siegerehrung ist gar nicht zu beschreiben. Das ist Gänsehaut pur.“
Hintergrund:
Die Geschichte der Mannschaftsverfolgung der Frauen ist eine junge: Bei den Weltmeisterschaften 2008 gehörte sie erstmals zum WM-Programm. Damals starteten drei Frauen, erst ab 2014 stehen vier Frauen am Start. Deutschland belegte damals Platz drei, hinter Großbritannien und der Ukraine. Es war die einzige Medaille in der Mannschaftsverfolgung bis zur Heim-WM im letzten Jahr. Zwar konnte Deutschland immer mit guten Verfolgerinnen punkten, aber die waren in der Einer-Verfolgung erfolgreich, wie Judith Arndt, die 1997 Weltmeisterin war und noch drei weitere Medaillen holte. Aber seit Einführung der Mannschaftsverfolgung fanden sich keine drei, bzw. ab 2014 vier gleich guten Fahrerinnen zusammen und so belegte man in den ersten Jahren dieser WM-Disziplin eher hintere Plätze.
Seit 2012 ist der Vierer der Frauen Olympisch. In London wurden Judith Arndt, Charlotte Becker und Lisa Brennauer Achte unter zehn gestarteten Teams. Lisa Brennauer blieb noch ein Jahr dabei, zog sich dann aber zurück, um sich auf die Straße zu konzentrieren. 2016 belegten der BDR-Vierer der Frauen in Rio Rang neun. Immer mit dabei, die Berlinerin Charlotte Becker, die seit Einführung des Vierers fast immer dazu gehörte und auch in diesem Jahr noch als Ersatzfahrerin nachnominiert wurde, nachdem Gudrun Stock aus gesundheitlichen Gründen ihre Teilnahme absagen musste.
Erst ab 2018 bekam der Vierer wieder Schwung: Und das war auch der Verdienst von Lisa Brennauer, die man überredete wieder auf die Bahn zurückzukehren. Bei der WM in Apeldoorn belegten Stock, Brennauer, Becker und Brauße Platz fünf. In Pruszkow reichte es ein Jahr später zum sechsten Platz. Lisa Klein hatte inzwischen den Platz von Charlotte Becker eingenommen. Und Mieke Kröger kam dazu. Drei Frauen, die allesamt exzellente Zeitfahrinnen sind, die 2019 bei der Straßen-WM im Teamzeitfahren der Mixed-Staffel auf der Straße schon Silber holten, und 2020 zum EM-Titel rasten.
Im Februar 2020 erkämpfte sich das deutsche Quartett in der Besetzung Brauße, Brennauer, Klein und Stock die Bronzemedaille bei der Heim-WM im Berliner Velodrom. Es war nach 2008 erst die zweite Medaille für das deutsche Quartett bei einer Weltmeisterschaft. Der Knoten war endgültig geplatzt, und der Erfolg von Berlin machte Lust auf mehr.
In Tokio holte das Quartett jetzt die zweite Olympische Goldmedaille in einer Ausdauer-Disziplin der Frauen für den BDR. Die erste feierte Petra Roßner (Leipzig) vor fast 30 Jahren bei den Spielen von Barcelona (1992) in der Einer-Verfolgung.
Der Erfolg des Frauenvierers ist natürlich auch der Erfolg von Bundestrainer André Korff, der das Quartett auf dieses Turnier vorbereitete. Beim Abschluss-Lehrgang in Frankfurt/Oder wurden die letzten Feinabstimmungen vorgenommen, Messwerte verglichen, bevor es nach Tokio ging. Maßgeblichen Anteil hat aber auch Männer-Trainer Sven Meyer, der mitverantwortlich ist für die technische Entwicklung ist. Angefangen von den Zeitfahranzügen, über Reifen und Rahmenbau; Meyer arbeitet sehr eng mit der FES, dem Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten in Berlin zusammen, die die Räder für die Bahnfahrer konstruieren.
Die übrigen Wettbewerbe:
Im Teamsprint der Männer belegte das deutsche Trio beim Olympiasieg der Niederlande Platz fünf. Es fuhren Timo Bichler (Bahnteam Rheinland-Pfalz), Stefan Bötticher (Chemnitzer PSV) und Maximilian Levy (Team TheedProjekt-Cycling).
In der Mannschaftsverfolgung der Männer konnte das deutsche Quartett einen neuen deutschen Rekord aufstellen. Felix Groß, Leon Rohde, Theo Reinhardt und Domenic Weinstein fuhren in der ersten Runde 3:48,861 Minuten und werden morgen um Platz fünf kämpfen.
Zum Bild: Siegerehrung: Franziska Brauße, Lisa Brennauer, Lisa Klein und Mieke Kröger jubeln über die Goldmedaille. Foto: BDR