Nach sechs Jahren hatte Franziska Brauße die Nase voll, vom immer öfter aufkommenden Streit und Eifersüchteleien unter pubertierenden jungen Mädchen. „Das war am Ende ein ganz schöner Zickenkrieg. Da hatte ich irgendwann keine Lust mehr drauf“, erinnert sich die 22-Jährige an ihre Zeit im Ballett. Mit sechs Jahren hatte Brauße an der Volkshochschule mit dem Tanzen begonnen. 2012, mit zwölf Jahren, hatte Brauße schließlich genug, zog einen Schlussstrich unter ihre Ballett-Zeit und sattelte zum Radsport um. Heute, knapp neun Jahre später, ist die immer fröhliche und gut gelaunte junge Frau eine der erfolgreichsten Radsportlerinnen Deutschlands.
Dass „Franzi“ Brauße sich zu einer festen Größe im deutschen Frauen-Radsport entwickeln konnte, ist vor allem Vater Christian und ihrem zwei Jahre älteren Bruder Georg zu verdanken. Beide waren aktive Radsportler beim TSV Betzingen, Georg fuhr sogar einige Rennen in der Jugend-Bundesliga. „Ich fand das ganz cool und wollte es dann auch mal ausprobieren“, erinnert sich Franziska. Bei einem Probetraining Ende 2011 erkannte Trainer Tilman Bücheler das Talent, förderte und forderte die junge Sportlerin und stellte sie schon wenige Wochen später bei ihrem ersten Lizenzrennen an den Start. Nicht mal ein Jahr nach ihrem Probetraining war Brauße erstmals deutsche Meisterin: Im Juni 2012 gewann die bei den U15-Schülerinnen-Titelkämpfen in Rheinbach im Einer-Straßenfahren.
Seitdem ist es für die Sportsoldatin, heute Mitglied beim RSV Öschelbronn, stetig nach oben gegangen – besonders auf der Bahn ist Brauße inzwischen international eine feste Größe. „Anfangs dachte ich, auf der Bahn zu fahren sei voll langweilig. Ist es aber nicht. Die taktischen Kniffe sind hochinteressant und so wichtig, dass man nicht die stärksten Beine haben muss, um zu gewinnen. Das gefällt mir.“ Im Elite-Frauenbereich hat sie vor allem seit dem Beginn der Zusammenarbeit mit Sven Meyer große Fortschritte im Leistungsvermögen gemacht. Der Männer-Bundestrainer im Ausdauerbereich betreut seit Frühjahr 2019 auch Brauße „Sven hat trainingstechnisch sehr viel Wissen, von dem ich sehr profitiere. Die Arbeit mit ihm hat mich auf jeden Fall weitergebracht – seitdem habe ich permanent Schritte nach vorn gemacht“, sagt sie.
2019 konnte Brauße die Trainingsarbeit mit Meyer in viele Ergebnisse und Erfolge ummünzen. Bei der Elite-EM in Apeldoorn entthronte sie Titelverteidigerin Lisa Brennauer (Durach) und gewann wie schon kurz zuvor bei der U-23-EM den Titel in der Einerverfolgung. Bei den deutschen Meisterschaften sicherte sie sich die Titel über 3000 Meter, Omnium, Madison und Teamverfolgung. Lohn: Die Auszeichnung zur „Radsportlerin des Jahres 2019“. Trotz des durch die Covid-19-Pandemie stark eingeschränkten Wettkampf-Jahres knüpfte Brauße 2020 an die Erfolge an und bestätigte ihren Ruf als absoluter Wettkampftyp. Bei der Heim-Weltmeisterschaft im Berliner Velodrom erkämpfte sie sich die Bronzemedaille in der Einerverfolgung und steigerte ihre Bestzeit auf 3:20,222 Minuten. Und zudem gab es mit dem deutschen Frauen-Vierer eine weitere Bronzemedaille. „Die WM war die beste Woche meiner bisherigen Karriere. Ich hatte tolle Beine – die Bahn bot optimale Bedingungen und das Publikum war toll“, erinnert sich Brauße gern zurück. Ende des Jahres 2020 gelang ihr noch die erfolgreiche Titelverteidigung in der Einerverfolgung bei der U23-EM in Italien.
Besonders der dritte Platz in der Mannschaftsverfolgung bei der WM 2020 in Berlin zusammen mit Lisa Brennauer, Lisa Klein (Erfurt) und Gudrun Stock (München) hat für Brauße einen hohen Stellenwert. Zum einen krönte das deutsche Frauen-Quartett mit der Bronzemedaille eine grandiose Entwicklung in den vergangenen drei Jahren. Zum anderen untermauerte das deutsche Quartett mit der Platzierung und der schnellsten im Turnier gefahrenen Zeit seine Ambitionen für die Olympischen Spiele. Und in Tokio 2021 soll es möglichst ebenfalls Edelmetall geben. „Eine Olympia-Medaille wäre schon schön – dieses Ziel steht“, sagt Brauße.
Für Frauen-Bundestrainer André Korff ist Brauße eine feste Größe für Tokio 2021, obwohl die Nominierungen offiziell noch nicht ausgesprochen sind. „,Franzi’ hat sich extrem gut entwickelt. Sie fährt immer extrem offensiv. Das ist einfach ihre Art, das hat sie extrem weitergebracht. Daneben hat sie eine aerodynamische Sitzposition wie kaum eine andere“, lobte er ihre Vorzüge. „Natürlich hoffe ich, bei Olympia dabei zu sein – mache mir deshalb aber keinen Stress“, sagt die 22-Jährige, die die aktuelle Straßensaison 2021 wieder für das Profiteam Ceratizit WNT Pro-Cycling-Team fährt.
Im Porträt
Team: Ceratizit-WNT Pro Cycling Team (seit 2019)
Geb.: 20.11.1998 in Metzingen
Größe/Gewicht: 1,70 m/64 kg
Wohnort: Eningen
Familienstand: ledig
Erfolge:
2014: 1. DM Jugend Einerverfolgung
2015: 1. DM Juniorinnen Mannschaftsverfolgung
2016: 1. DM Juniorinnen Einerverfolgung und Punktefahren
2017: 3. EM (U23) – Mannschaftsverfolgung, 1. DM Madison (mit Alina Lange)
2018: 2. EM U23 Omnium, 3. EM U23 Mannschaftsverfolgung
2019: Europameisterin – Einerverfolgung, 2. EM Mannschaftsverfolgung (mit Lisa Brennauer, Gudrun Stock, Lisa Klein und Mieke Kröger), 1. EM U23 Einerverfolgung, 3. EM U23 Mannschaftsverfolgung, 1. DM Omnium, Einerverfolgung, Zweier-Mannschaftsfahren (mit Lea Lin Teutenberg) undMannschaftsverfolgung
2020: 3. WM Einerverfolgung, 3. WM Mannschaftsverfolgung (mit Lisa Brennauer, Lisa Klein und Gudrun Stock), 1. Europameisterschaft U23 Einerverfolgung, 2. EM U23 Zweier-Mannschaftsfahren (mit Lea Lin Teutenberg), 2. EM U23 Mannschaftsverfolgung (mit Lena Charlotte Reißner, Finja Smekal und Lea Lin Teutenberg), 3. EM U23 Punktefahren
Franziska Brauße privat
Was war für dich dein bisher schönster sportlicher Erfolg? Die Siege bei der EM in der Einerverfolgung
Was motiviert dich? Dass es Spaß macht Rad zu fahren und natürlich auch die Erfolge die man einfährt.
Welche Vorbilder hast du? Caleb Ewan
Was waren deine Lieblingsfächer in der Schule? Deutsch und Sport
Was ist dein Lieblingsessen? Gnocchi mit Tomatensoße und Käse.
Nenne deine persönliche Stärke und Schwäche Meine Stärke ist sicherlich, dass ich im Rennen immer voll fokussiert bin. Meine Schwäche, dass ich meist eher zurückhaltend bin.
Auf was möchtest du nie verzichten? Meine Familie und meine Freunde.
Welchen Traum möchtest du dir im Leben noch erfüllen? An den Olympischen Spielen teilnehmen.
Was ist für dich ein perfekter Tag? Ausschlafen, entspannt frühstücken, Radfahren in einer Gruppe bei schönem Wetter, Abendessen und anschließend einen schönen Abend mit Freunden genießen.
Welche Überschrift möchtest du gern einmal von dir lesen? „Franziska Brauße ist Weltmeisterin“