Das Frauen-Quartett fuhr gestern in der Qualifikation hinter Großbritannien und Italien die drittschnellste Zeit und traf in der nächsten Runde auf Italien. Dort führte zunächst Italien, hatte nach 2000 Metern drei Sekunden Vorsprung. Das schien uneinholbar. Dann setzte sich Mieke Kröger an die Spitze, fuhr fast vier Runden von vorn und verkürzte den Rückstand um eine Sekunde, bevor sie ausschied. Die Bielefelderin hatte wieder einmal alles gegeben. Bei der 3000 Meter-Marke trennten die beiden Vierer nur noch eine Sekunde. Brauße, Klein und Süßemilch drückten aufs Tempo, mobilisierten ihre letzten Reserven und schafften die Wende: Mit acht Zehntel Vorsprung rauschten sie über den Zielstrich, distanzierten Italien deutlich und qualifizierten sich für das Große Finale gegen Großbritannien.
Dort ersetzte Lena Charlotte Reißner Laura Süßemilch. Drei Runden vor Schluss fiel die Entscheidung, als die schnelleren Britinnen zu den Deutschen auffuhren und sich die Goldmedaille holten. Aber das deutsche Quartett durfte sich über Silber freuen.
Nach dem Olympiasieg 2021 und dem WM-Titel im selben Jahr gingen die BDR-Frauen in den letzten beiden Jahren bei Weltmeisterschaften leer aus. 2022 in Paris wurden sie Sechste, im letzten Jahr in Glasgow Siebte. Bei den Olympischen Spielen in Paris reichte es in diesem Sommer zu Platz sechs. Jetzt durften sie sich in Ballerup über ihre insgesamt dritte WM-Medaille in der Mannschaftsverfolgung freuen (Bronze in Berlin 2020, Gold in Roubaix 2021 und Silber in Ballerup 2024).
Auch der deutsche Männer-Vierer konnte in Ballerup jubeln und hat sogar ein wenig deutsche Radsport-Geschichte geschrieben. Denn sie gewannen die erste deutsche Medaille in der Mannschaftsverfolgung seit 22 Jahren! Das Quartett von Bundestrainer Sven Meyer besiegte im Kleinen Finale Japan und erkämpfte sich am zweiten Abend der Bahn-Weltmeisterschaften die Bronzemedaille.
Vor 22 Jahren gewannen Christian Bach, Guido Fulst, Sebastian Siedler und Jens Lehmann die Silbermedaille hinter Australien. Schauplatz der WM: die gerade neu errichtete Ballerup Super Arena, jener Ort, an dem der junge BDR-Vierer auch heute zur WM-Medaille greifen konnte.
Nach Platz fünf in der gestrigen Qualifikation konnte sich der Vierer in der nächsten Runde noch einmal um zwei Sekunden steigern und zog damit ins kleine Finale gegen Japan ein. Das junge BDR-Team kämpfte zum ersten Mal bei einer Elite-WM in dieser Besetzung.
Anfahrer Benjamin Boos, Bruno Kessler (beide rad-net Oßwald), Tim Torn Teutenberg (Lidl Trek Future Racing), der den erkrankten Felix Groß aus den Vorläufen ersetzte, und Schlussmann Ben-Felix Jochum (Lotto Kern-Haus-PSD Bank) lagen von Beginn an in Führung und siegten mit einer Fahrzeit von 3:52,707 Minuten. Den Titel holte sich Gastgeber Dänemark, der England auf den zweiten Platz verdrängte.
Das sehr junge Verfolger-Quartett war in der Vergangenheit schon sehr erfolgreich. Jochum gewann 2021 WM-Gold mit dem BDR-Juniorenvierer, 2022 war er zusammen mit Boos WM-Zweiter. Beide gehörten auch dem erfolgreichen Nachwuchs-Quartett an, dass im Juli in Cottbus bei der U23-EM Bronze in der Mannschaftsverfolgung holte. Der Leipziger Bruno Kessler war 2022 Junioren-Weltmeister im Punktefahren und Tim Torn Teutenberg, mit 22 Jahren der Älteste im BDR-Quartett, holte im vergangenen Jahr bei der Elite und der U23 den EM-Titel in seiner Lieblingsdisziplin, dem Ausscheidungsfahren.
Dass sie jetzt in Ballerup zu Verfolger-Bronze in der Eliteklasse stürmten, das war aber nicht unbedingt zu erwarten und umso schöner, dass dieser WM-Traum in Erfüllung ging.
Nur eineinhalb Stunden nach dem Vierer-Finale stand Tim Teutenberg erneut am Start und startete im Scratch. „Der Vierer war eine gute Vorbelastung,“ schmunzelte der Kölner, der auch auf eine erfolgreiche und lange Straßensaison zurückblickt. In der kommenden Saison wird er zum WorldTour-Team Lidl Trek gehören, erhält weiterhin die Freiheit, auch auf der Bahn zu fahren. Im Scratchrennen von Ballerup belegte der Kölner nach offensiver Fahrweise Rang neun.
Seine Schwester Lea Lin Teutenberg (CERATIZIT-WNT Pro Cycling Team), im Januar Europameisterschafts-Zweite im Ausscheidungsfahren, belegte im WM-Elimination Race ebenfalls einen guten neunten Platz.
Für Luca Spiegel (Bahn-Rad-Team Rheinland-Pfalz) war im Keirin-Hoffnungslauf Endstation. Der Landauer konnte sich nicht für die nächste Runde qualifizieren. „Das ist nicht das, was ich mir vorgenommen hatte, aber ich habe in beiden Läufen Fehler gemacht. Jetzt schon raus zu sein tut weh,“ sagte der Olympia-Neunte.
Im Sprintturnier der Frauen schieden Alessa-Catriona Pröpster (Bahn-Rad-Team Rheinland-Pfalz) und Clara Schneider (LKT Team Brandenburg) im Achtelfinale aus.
Reaktionen:
Bundestrainer Sven Meyer: „Wir haben uns an den Plan gehalten, der vorher abgesprochen war. Mega stark, was sie da abgeliefert haben. Das Allerwichtigste aber ist, dass sie ein Zeichen für die Zukunft gesetzt haben.“
Bruno Kessler: „Da hatten wir echt nicht mit gerechnet. Die Vorbereitung war knapp. Aber die Zeiten waren im Training gut, so dass wir optimistisch nach Dänemark geflogen sind.“
Ben Felix Jochum: „Bei den Junioren war ich Weltmeister, jetzt bei meiner ersten Elite-WM zu fahren, war schon eine große Ehre. Und dann noch eine Medaille zu gewinnen, war einfach nur super. Wir sind noch ein so junges Team, ich hoffe, wir nehmen diesen Schwung mit in die nächsten vier Jahre.“
Tim Torn Teutenberg: „Wir sind eine coole Truppe, ein geiles Gefühl, eine Medaille in der Mannschaftsverfolgung der Elite zu gewinnen. Es lastete schon ein bisschen Druck auf uns, als wir gehört hatten, dass es 22 Jahre keine Medaille mehr gegeben hat. Und die Erleichterung ist groß, dass es geklappt hat.“
Benjamin Boos: „Ich war ja schon in Glasgow im letzten Jahr dabei, hatte nicht damit gerechnet, dass wir hier um eine Medaille fahren würden. Wir haben unser Bestes gegeben und wurden belohnt.“
Franziska Brauße: „Wir können echt zufrieden sein, haben in Frankfurt/Oder im Training ein paar neue Sachen probiert und Lisa an Position 1 gesetzt. Es war das erste Mal, dass wir so im Wettkampf gefahren sind. Und das hat echt gut funktioniert. Natürlich mussten wir deutlich tiefer gegen die Britinnen gehen. Sie sind immer eine Bank. Es ist keine Schande gegen sie zu verlieren. Ich würde sagen, wir haben Silber gewonnen und nicht Gold verloren.“
Lena Reißner: „Ich bin mega froh, dass ich im Finale starten konnte. Den Hauptjob haben die Mädels in der ersten Runde gemacht. Es war echt krass, was sie gegen die Italienerinnen geschafft haben. Ich denke, dass wir darauf aufbauen können, auch mit den Positionswechseln.“
Lisa Klein: „Gegen die Britinnen zu verlieren, ist keine Schande. Es lief nicht perfekt, aber die Silbermedaille zu gewinnen, gibt mir viel Motivation für die nächsten Wettkämpfe. Wir werden weiter hart arbeiten, sind stolz auf das Ergebnis heute und freuen uns auf neue Ziele.“
Bundestrainer André Korff: „Die erste Runde war richtig gut, da haben sie sich richtig reingekämpft, am Ende war der Saft raus, sie konnten nicht mehr die Geschwindigkeit fahren, es war nicht mehr genug Power im Tank. Aber die Freude über Silber überwiegt.“